Leitmedium Deckenmalerei
Anleitung von oben
Repräsentative Innenräume der Frühen Neuzeit zeichnen sich häufig durch ein engmaschiges Zusammenwirken der verschiedenartigen Bau- und Bildkünste aus: Sie bilden eine aus Vielheit geformte Einheit. Die Wand- und Deckenmalerei übernimmt hier formal wie inhaltlich eine entscheidende, integrative Funktion. Als Leitmedium gibt die Deckenmalerei quasi eine Anleitung von oben, wie diese Räume funktional und inhaltlich zu erschließen sind. Sie wird oft unterstützt durch figürliche Darstellungen in Stuck, Stein oder Holz, durch Nebenszenen, Personifikationen oder Embleme in Kartuschen, Lünetten oder Wandfeldern.
Quadri riportati und finestra aperta
Decken- und Wandmalerei kann in Fresko- oder Secco-Technik ausgeführt und direkt auf den Putz steinerner oder hölzerner Gewölbe aufgetragen werden. Sie kann auch aus Leinwandbildern bestehen, die in Rahmen an der Decke befestigt sind. Dann handelt es sich oft um die so genannten quadri riportati, Gemälde, die wie Tafel- oder Staffeleibilder konzipiert sind, aber trotzdem von unten betrachtet werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Deckengemälde aufwändig gemalte Rahmungen aus Scheinarchitekturen mit illusionistischen Ausblicken in den Himmel oder in fiktive Räume einer anderen Realitätsebene kombinieren, nach dem Prinzip der finestra aperta.
Bilder an der Decke: Seele des Zimmers
Unter Einbeziehung des Raumzusammenhangs entfalten die Malereien ein komplexes Bildprogramm mit hierarchischen oder narrativen, ikonographischen Strukturen. Die zeitgenössische Kunsttheorie bezeichnet die Bilder an der Decke als die Seele eines Zimmers (Gérard de Lairesse). Auf diese Weise treten die Deckengemälde in eine intensive Kommunikation mit den Betrachtern. Anschaulich vermitteln sie mit ihrem vielfältigen Personal von antiken Göttern und christlichen Heiligen, Zeichen und Symbolen eine Botschaft, die heilsgeschichtlich oder historisch-politisch, kosmologisch oder ethisch-moralisch begründet sein kann.
Literatur zur Barocken Deckenmalerei: Eine Einführung
Deckenmalerei im Kontext
Es ist die Aufgabe des Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland, diese visuellen Zeichensysteme in Korrespondenz mit der gebauten Architektur und ihrer Ausstattung zu entschlüsseln und in ihren konkreten ikonographischen, historischen, kunstgeschichtlichen oder literarischen Kontexten zu dokumentieren, zu analysieren und zu interpretieren. Dabei stehen im Mittelpunkt die gestalterische und programmatische Schlüsselfunktion der Decken- und Wandmalereien, die eigenständige Entwicklungsgeschichte dieses Bildmediums, seine künstlerischen Potentiale sowie die teilweise hochkomplexe Ikonographie.
Rahmenbezüge: Frühe Neuzeit und Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation
Auch wenn der Barockbegriff aus historischer Perspektive und im Anschluss an das Vorgängerprojekt im Titel weitergeführt wird, ist inhaltlich der zeitliche Rahmen des neuen Projekts auf einschlägige Phasen der vorangehenden Renaissance-Epoche und des beginnenden Klassizismus ausgedehnt (ca. 1550–1800). Es bietet sich an, dafür den heute üblichen Begriff der Frühen Neuzeit anzuwenden. Aus pragmatische Gründen ist das Projekt auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland konzentriert. Grenzüberschreitende Kontaktaufnahmen im Sinne einer Rekonstruktion der historischen Verhältnisse im bis 1806 bestehenden Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sind aber jederzeit möglich und im Rahmen von Tagungen und Kooperationen vorgesehen.
Interdisziplinärer Ansatz
Das Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland will das Wissen über die von ihm bearbeiteten Werke und deren oft komplexen Inhalte auch für weiterführende Forschungen in den Nachbardisziplinen der Kunstgeschichte bereitstellen, wie Geschichte, Literatur, Musik- und Theaterwissenschaften. Dabei sind die systematische Aufarbeitung und Dokumentation des Materials, die umfassende Quellen- und Archivrecherchen einschließt, Voraussetzungen für die Aufdeckung und Analyse von historischen, thematischen und konzeptionellen Zusammenhängen.
Architekturgebundene Malerei: Erhaltung, Restaurierung, Zerstörung oder Rekonstruktion
Dokumentiert werden erhaltene Objekte, einschließlich ihrer gerade im Bereich der fragilen Deckenmalereien häufigen Restaurierungen. Auch die vielen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Werkkomplexe, wie die Deckengemälde im ehemaligen Berliner Stadtschloss oder im Schloss Herrenhausen bei Hannover werden berücksichtigt. Viele dieser Objekte sind auf der Basis historischer fotografischer Dokumentationen rekonstruierbar, die in Bildarchiven zu recherchieren sind.
Historische Bildarchive
Zahlreiche historische Bilddokumente befinden sich im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte ̶ Bildarchiv Foto Marburg. Dazu gehört auch das besonders wichtige „Farbdiaarchiv der Wand- und Deckenmalerei 1943 ̶ 1945“, das als "Führerauftrag Monumentalmalerei“ in den letzten Kriegsjahren angefertigt wurde und oft Bau- und Bildwerke kurz vor ihrer Zerstörung dokumentierte, in dem damals noch neuen Medium des Farbdiafilms. Die im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte ̶ Bildarchiv Foto Marburg und dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München erhaltenen Bestände dieses Archivs wurden vor einigen Jahren digitalisiert und sind als Datenbanken über das Zentralinstitut für Kunstgeschichte sowie den Bildindex der Kunst und Architektur, Bildarchiv Foto Marburg recherchierbar.
Datenaufbereitung über digitale Technologien und Semantic Web
Die Forschungsergebnisse des neuen Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland werden kontinuierlich über eine Internetplattform der Öffentlichkeit nach den Maßgaben des Open Access zur Verfügung gestellt. Dabei werden für die Entwicklung einer virtuellen Forschungsumgebung sowie der online Publikations-Datenbank die innovativen Anregungen des Semantic Web aufgegriffen, auf der Grundlage der am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg seit Jahrzehnten kontinuierlich ausgebauten modernen Informationstechnik.
Kunsthistorische Forschung und digitale Geisteswissenschaften
So soll erreicht werden, dass die frühneuzeitliche Decken- und Wandmalerei mit ihrer herausragenden kunsthistorischen Bedeutung der internationalen Fachwelt sowie dem breiten Publikum baldmöglichst und umfassend zugänglich gemacht wird und die angemessene Beachtung finden kann. Zugleich werden für die Benutzer der Datenbank moderne Recherche-Möglichkeiten eröffnet, die eine Buchpublikation in dieser Weise nicht bieten kann.
Auch die fotografische Dokumentation setzt auf neue digitale Techniken und Multimedia-Visualisierungen. Auf diese Weise wird die kunsthistorische Barockforschung mit den aktuellen Potentialen der digitalen Geisteswissenschaften verknüpft.